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Spiegel 1/2000

Schmalfilme
Simpel, frei und cool

Super-8-Streifen, die Vorgänger heutiger Heimkino-Videos, gelten wieder als schick: Jungfilmer bestreiten damit jetzt ein Weltfestival.

Ein Nacktmodell zuckt und windet sich im Beat-Rhythmus der sechziger Jahre, davor reisst ein junger Mann parodistisch die Augen auf, das Bild ist grobkörnig und psychedelisch bunt. So sieht ein LSD-Rausch in dem Super-8-Gruselfilm «Vampira» des Münchners Ralf Palandt aus. Die Farben hat Palandt, 34, durch die Behandlung des Films mit Säure erzielt, die eingeblendete Nackte stammt aus einem Softporno. Der Projektor rattert, die Bilder zittern, der Ton ist blechern. Aber das macht nichts, denn eben deshalb gilt Super-8-Film heute wieder als etwas Besonderes, Liebenswertes. «Der ist nicht so Hochglanz» sagt Saro Pepe, 28, Mitglied im «Super-8-Syndikat Zürich». «Super-8 ist billig und simpel, er lässt uns alle Freiheit. Wir sind die wahren Independent-Filmer».
Seit Mitte der Neunziger entdeckt eine kleine Szene aus Studenten, Filmfans und mehr oder weniger ernsthaften Künstlern für sich die Technik, die ihre Papis in den siebziger Jahren zur Dokumentation von Kindergeburtstag und Ostseeulaub genutzt hatten. Die Filme sind 8 statt der kinoüblichen 35 Millimeter breit, die Kameras werden fast nur noch auf dem Flohmarkt gehandelt. Die jungen Filmemacher wollen unabhängig sein von dem Regelgestrüpp der Filmförderungsbürokratie - hoffen aber dennoch auf grössere Anerkennung.
Auch deshalb veranstalten die Jungfilmer am 8. Januar erstmals einen «Global Super-8-Day». In rund 30 Städten weltweit werden von lokalen Super-8-Gruppen filme gezeigt: eine Demonstration für das oft totgesagte Format. «Über E-Mail koordiniere ich die Gruppen von Seattle bis Neuseeland», sagt Pepe. Die Organisation der einzelnen Vorführungen ist dezentral. Aber weil sie im Rahmen des Super-8-Tages stattfinden, «vernetzt sich jetzt zum ersten Mal die ganze Szene». Ein Drittel der etwa 35 beteiligten Gruppen ist in Deutschland aktiv.
Das Museum of Modern Art in New York (Moma) wurde von Saro Pepe und den Seinen nicht zur Teilnahme am 8. Januar aufgefordert. «Leider», sagt die Kuratorin Jytte Jensen. Noch bis Dezember 2000 zeigt das Moma mit regelmässigen Filmvorführungen «An American History of 8mm films», weil deren Schöpfer - so der Katalogtext - «wundersam erfinderisch» sind. Jensen beobachtet eine Renaissnace der experimentellen Super-8-Filme. «Vielleicht ist das eine Reaktion auf den Perfektionismus des digitalen Zeitalters.»
In Hamburg hat die Gruppe «All Nizo Restricted Revolution Pictures» 1995 begonnen, Super-8-Programme zu zeigen. Anfangs wurden die Kurzfilme am Elbstrand auf die Lüftungsschächte des Autobahntunnels projiziert. Am 8. Januar dürfen die Hamburger ihre Projektoren im edlen Thalia-Theater aufstellen. Gezeigt wird alles vom Klamaukfilm mit Knetgummi-Figuren bis zur Kurzdokumentation über Nicaragua. «Wir wollen den elenden Jurybetrieb der Festivals aushebeln. Bei uns kann jeder seinen Film einfach so mitbringen», sagt Initiator Lutz Kayser, 34, gegenwärtig arbeitslos. er hatte gemeinsam mit Saro Pepe die Idee für den Global Super-8-Day. «Wir schaffen Gegenöffentlichkeit ohne Zensur.»
Einigen Super-8-Filmern allerdings reicht die verwackelte Gegenöffentlichketi nicht mehr. Jan Peters, 33, ebenfalls aus der Hamburger Szene, hat sich professionalisiert. Sein filmischer Tagebuch-Essay «Dezember 1-31», gedreht auf 8 und 16 Millimeter, entstand in Co-Produktion mit dem ZDF und wurde auf der jüngsten Berlinale gezeigt. Peters zeigt reduzierte Bilder, häufig nur sich selbst in die Kamera sprechend. Er wählt das Super-8-Material, «wenn ich das Nicht-Perfekte suche, wenn ich Störungen möchte» - etwa durch das häufige Auswechseln der Super-8-Kassetten, die nur drei Minuten lang sind.
In Berlin haben seit 1994 Dagie Brundert und Ramona Welsh als «FBI» regelmässig Super-8-Abende organisiert. «Das ist nicht immer Kunst, trashige Collagen aus alten Urlaubsfilmen sind oft einfach nur lustig», sagt Welsh, 35. Sie selbst macht allerdings Experimentalfilme, verwendet gern Doppelbelichtungen und Zeitschleifen. Jahrelang hat sie sich mit Künstlerstipendien durchgeschlagen, heute jobbt sie als DJ. Mit der Super-8-Arbeit angefangen hat Ramona Welsh 1988 in Ost-Berlin. Wir wurden damals von der Stasi observiert», sagt sie. «Für jede öffentliche Vorführung brauchte man Genehmigungen.» Auch bekannte Maler wie A.R. Penck haben in der DDR mit Schmalfilm gearbeitet, für sie war es ein Medium des Untergrunds.
«Die Kreativen verlangen immer häufiger Super-8, aber an die Schmalfilmer alter Schule verkaufen wir immer weniger, weil die alle auf Video umsteigen», sagt Josef Pokorny, 56, Sprecher von Kodak in Deutschland. «Das gleicht sich aus, die Nachfrage stagniert.» Dennoch hat Kodak Ende 1997 neues Super-8-Material auf den Markt gebracht. Pokorny: «Gerade auch bei Profis liegt Super-8 im Trend.»
Für die Einführung der Mercedes-S-Klasse auf dem Pariser Autosalon 1998 hat eine Berliner Werbefirma einen Spot mit Super-8 produziert. Produktionsleiter Stephan Braungardt: «Wir wollten den Kontrast zwischen den wenig perfekten bildern und dem perfekten Auto.»
Die Hamburger Regisseurin Stephanie von Beauvais, 29, hat einen Clip für den House-Musiker DJ Tonka in Super-8 gedreht. «Neuerdings wird Super-8, meist verwendet, weil es als cool und dreckig gilt», sagt die frühere Amateurfilmerin. «Dabei bietet der Film mehr Bildpunkte und damit fototechnisch bessere Bildqualität als Video.»

(Jonas Viering)