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20.06.2007   

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Heimvideo

"Die Innenwelt unseres Landes"

Der Filmemacher Robert Van Ackeren montiert Filme aus Heimvideo-Schnipseln. Ein Gespräch über die letzten Tage von Super 8 und den Einfluss des Internets auf das Privatkino.

Das ist privat: vor deutschen Tapeten    Foto: kinowelt

taz: Herr Van Ackeren, was hat Sie bewogen, nach so langer Zeit einen zweiten Teil Ihrer Home-Movie-Anthologie "Deutschland Privat" in die Kinos zu bringen?

Robert Van Ackeren: Ich habe mein Projekt von Beginn an als seriell begriffen. Ich beschäftige mich seit den frühen Achtzigerjahren kontinuierlich mit dem Privatkino und habe im Laufe der Jahre eine umfangreiche Sammlung angelegt, die inzwischen etwa 20.000 Titel umfasst. Der aktuelle Anlass für "Deutschland Privat - Im Land der bunten Träume" war die Tatsache, dass das Super-8-Kino ein aussterbendes Kulturgut darstellt. Vor zwei Jahren hat der Hersteller Kodak die Produktion von Kodachrome-40-Rohfilm, auf dem in den vergangenen Jahrzehnten fast alle Amateure gedreht haben, endgültig eingestellt.

Sie haben den Begriff "Privatkino" geprägt, womit Sie sich auf eine Tradition berufen, die mit Home Movies und Amateurfilmen kaum in Verbindung gebracht wird. Sie proklamieren damit implizit, dass wir beginnen sollten, alle möglichen Formen audiovisueller Produktion in unser Verständnis von Kino einzubinden.

Für mich stellen Amateurfilme innerhalb der filmischen Tradition ein eigenständiges Genre dar. Ich sehe da auch begrifflich überhaupt keinen Widerspruch, denn die Filme sind ursprünglich ja für ein Heimkino gedreht worden. Ganz abgesehen davon, dass Super 8 auch im technischen Sinne ein klassisches Filmformat, eine Miniaturausgabe des professionellen Kinos ist. Daher war der Schritt, mit "Deutschland Privat" eine Auswahl solcher Filme auch in die traditionellen Kinos zu bringen, nur konsequent. Anfang der Achtzigerjahre war das gewissermaßen die Vorwegnahme von dem, was heute mit Videoplattformen wie Youtube oder MyVideo unter "user-generated content" firmiert. Mein ganz spezielles Interesse am Privatkino besteht darin, dass es uns eine Sicht auf unsere Wirklichkeit liefert, die andere Filmgenres und erst recht Mainstreammedien gar nicht leisten können.

Als kulturelle Dokumente?

Genau, diese Filme sind aus einer radikal subjektiven Sicht heraus gefilmt und haben auch formal einen ganz anderen Ansatz als das professionelle Kino, das maßgeblich durch dramaturgische Muster geprägt ist. Amateure arbeiten auf eine völlig andere Weise, und das führt auch zu der besonderen Ästhetik dieser Filme. Ich würde es mal vorsichtig als "ästhetische Schrankenlosigkeit" bezeichnen, ein Merkmal, das mich am Privatkino stark fasziniert. Der Amateur filmt in einer nahezu inventarisierenden Weise sein Leben ab und versucht, die wertvollen Momente in ihrer Flüchtigkeit festzuhalten. Darin liegt die dokumentarische Qualität der Filme, weil sie uns einen ganz unverstellten Blick auf Wirklichkeitsbereiche und Lebensentwürfe gewähren, die wir in dieser Form von Selbstzeugnissen bis hin zu den bizarren und pittoresken Ausprägungen bürgerlicher Rituale gar nicht kennen.

Oder nicht mehr kennen.

Diesen Aspekt finde ich im Zusammenhang mit unserem aktuellen Projekt sehr bemerkenswert. Wie wir bei Testvorführungen gemerkt haben, hat auch ein jüngeres Publikum ein starkes Interesse an "Deutschland Privat - Im Land der bunten Träume". Für jüngere Menschen, die mit dieser Zeit entweder nur Kindheitserinnerungen verbinden oder sie überhaupt nicht bewusst wahrgenommen haben, sind diese Bilder natürlich faszinierend. Insofern stellen Home Movies auch eine Art kollektives Gedächtnis dar. Darum empfinde ich es umso tragischer, dass sich innerhalb der Filmbranche bislang niemand ernsthaft für dieses Genre interessiert. Hier wird uns in den nächsten Jahren ein bedeutendes Kulturgut verloren gehen, denn Film ist bekanntermaßen ein sehr fragiles Medium. Bedenkt man, unter welchen Bedingungen viele dieser Filme unbeachtet auf Dachböden oder in Kellern lagern - oder dort schlicht vergessen worden sind -, wäre es höchste Zeit, diese Schätze zu bergen und zu sichern.

Dieser materielle Aspekt ist nicht unwichtig. Inzwischen bieten Fachgeschäfte den Service an, alte Familienfilme auf DVD zu transferieren. Die Originalfilme werden danach oft einfach weggeworfen.

Wir müssen bei Home Movies unterscheiden zwischen dem Ästhetisch-Inhaltlichen - also der Tatsache, dass ein Amateurfilmer ohne jegliche äußere Zwänge seine Vision realisiert - und dem Trägermedium, dem Filmobjekt. Wir sprechen die ganze Zeit von den unverwechselbaren Bildern, dem kollektiven Gedächtnis, den authentischen Filmen, aber diese Filme sind auf einem Material gedreht, das unwiderruflich dem Wirken der Zeit ausgesetzt ist. Wenn dieses Material nicht gepflegt wird, gehen die Originale kaputt, und damit verschwindet auch ein Teil ihrer Charakteristik. Denn selbst wenn Sie diese Materialien auf andere Medien überspielen, bewahren Sie lediglich eine Anmutung des Originals, wie bei einer schlechten Kopie.

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Der Kodachrome 40 hat aufgrund seiner technischen Voraussetzung als Umkehrfilm vor allem farblich sehr markante Charakteristika, die man mit Privataufnahmen im Allgemeinen verbindet. Was haben Sie getan, die spezifischen Eigenschaften des Materials wie die Kodachrome-Farbgebung in der Umspielung auf modernes Filmmaterial zu bewahren?

Es war ein zentraler Aspekt dieses Projekts, die Filme in einer Weise auf der Kinoleinwand zu präsentieren, die dem Originaleindruck entspricht. Wir haben mit viel technischem Aufwand die Farbgebung der Super-8-Filme reproduziert. Kodak zum Beispiel hat eigens für uns eine spezielle Emulsion aufgelegt, die wir benötigten, um einige der Filme überhaupt originalgetreu transferieren zu können. Später sind auch digitale Arbeitsschritte vorgenommen worden, aber nur soweit sie nicht den Farbraum oder die Auflösung und Textur des Originalmaterials beeinträchtigten. Dazu waren viele Tests nötig. Durch die Vergrößerung des Super-8-Formats auf das 35-mm-Kinoformat werden plötzlich kleinste Details und Merkmale des Materials sichtbar, und damit stellt sich auch eine ganz andere Dimension der Wahrnehmung der Eigenheiten und Möglichkeiten des Filmmaterials ein.

Der Super-8-Filmer war in seiner Arbeitsweise stets materialgebunden. Er konnte aufgrund der relativ hohen Kosten nicht wild drauflosfilmen, sondern musste genau planen, welche Szenen er wie filmt. Mit digitalen Aufnahmeverfahren ist der Amateurfilmer keinerlei Beschränkungen mehr unterlegen. Führt das zu einer größeren Beliebigkeit der Bilder oder im Gegenteil zu genaueren Beobachtungen?

Mit dem Ende des Super-8-Films ist eine Ära des Privatkinos unwiederbringlich abgeschlossen, weil die Technik eines jeden Mediums immer auch die Inhalte prägt. Das Filmen mit Super 8 bedingt einen sehr ökonomischen Umgang mit dem Material. Die Standardrolle hatte eine Länge von drei Minuten, der Amateur musste sich also sehr genau überlegen, wie er eine Szene filmte, und genauso wichtig war, wie er später das Material schnitt. Jeder Schnitt war endgültig. Das Nachfolgemedium Video ist technisch ganz anders aufgebaut, was zu einem anderen Drehverhalten führt. Die Materialkosten spielen keine Rolle mehr, die Kassetten haben extrem lange Laufzeiten, das Equipment ist weitgehend automatisiert. Das hat in der Tat dazu geführt, dass Amateure alles um sich herum filmen, was sich bewegt.

Sammeln Sie auch Videos?

Wir haben unsere Sammlung selbstverständlich bis in das Videozeitalter fortgesetzt, und was mir hier auffällt, ist, dass viele dieser Filme relativ austauschbar sind. Alles wird unreflektiert abgefilmt, und, was noch wichtiger ist, es findet in den seltensten Fällen eine nachträgliche Bearbeitung statt, weil viele Filmer von der Materialmenge schier überwältigt sind. Eine Sichtung der Filme oder bloß ein Logging, eine Auswahl der Szenen, ist zeitlich auch gar nicht mehr zu leisten. Insofern würde ich hier eine wichtige Unterscheidung treffen wollen. Video ist nicht die Fortsetzung des Super-8-Films, sondern technisch wie auch ästhetisch und formal ein anderes Medium.

Hat sich der Stil von Privatfilmen mit dem Aufkommen von Videoplattformen im Netz nochmals verändert?

Der Hang zur Selbstdarstellung hat sich definitiv verstärkt. Home Movies waren ursprünglich für einen kleinen Kreis von Menschen vorgesehen. Die technische Entwicklung der letzten Jahre hat etwas begünstigt, was im Home Movie zwar schon angelegt war, inzwischen aber, wenn man sich mal im Netz umschaut, inflationäre Ausmaße angenommen hat. Heute will jeder im Netz präsent sein. Das hat nun dazu geführt, dass der Verwertungsgedanke bei den Amateuren bereits so ausgeprägt ist, dass die Filme bereits auf diese Verwertung hin konzipiert werden. Wir haben es in diesem Sinne also nicht mehr mit Dokumenten zu tun, Bildern, die einem etwas über die Person oder einen Lebensbereich vermitteln, sondern mit reinen Inszenierungen.

Ein Teil der Filme in "Deutschland Privat - Im Land der bunten Träume" sind Sexfilme. Was hat Sie zu dieser Auswahl bewogen?

Der Anteil von Erotik- und Sexfilmen ist im Privatkino überraschend hoch. Wir fanden es daher wichtig, auch diesen Bereich in aller Deutlichkeit darzustellen, denn der "alltägliche Film" und der Sexfilm kommentieren sich in gewisser Weise. Amateurfilmer trennen ihr Leben nicht in einen offiziellen und einen intimen Bereich. Für sie gibt es nur eine Realität, daher filmen sie ihre Schlafzimmeraktivitäten mit derselben Selbstverständlichkeit wie ihre Reiseeindrücke oder Familienfeiern. Das verleiht diesen Filmen auch einen anderen Charakter als herkömmlichen Pornofilmen. Mein Interesse am Privatkino inklusive seiner Schlafzimmerfilme ist aber nicht theoretischer Natur, wie das eines Filmhistorikers oder Soziologen.

Sondern?

Es ist mein spezielles Interesse als Filmemacher. Das Privatkino zeigt wie keine andere Filmform die Innenwelt unseres Landes, die Beziehungen zwischen Menschen, ihre Motivationen, ihre Wünsche, Sehnsüchte und die Abgründe - das Universum des Privaten. Deswegen sollten diese Filme auch nicht im Archiv verschwinden, sondern gezeigt werden, solange das Super-8-Kino noch existiert.

INTERVIEW ANDREAS BUSCHE

http://www.taz.de/nc&src=PR