Von Günther Walther
Und immer wieder ist es der Zuschauer, der
für unsere Überlegungen, wie eine Einstellung gestaltet werden muss, maßgebend ist. Er
muss verstehen, was gemeint ist,
an ihn ist unsere Mitteilung, unsere Schilderung gerichtet. Hieraus ergibt
sich die Notwendigkeit, bei jeder Einstellung mit den unbefangenen Augen
des Zuschauers zu sehen. Ihr Zuschauer kennt, im Gegensatz zu Ihnen, das
Umfeld nicht, in dem Ihr Film spielt. Sie selbst verbinden mit jeder Einstellung,
die Sie vornehmen, auch die Erinnerung an all das, was sich außerhalb
des Sucherrahmens befand und sich dort abspielte. Ihre Einstellungen aber
müssen selbständig und unabhängig wirken.
Es bietet sich jetzt an, den Bildschnitzer
in einer Halbtotalen zu zeigen, während er die Umrisse des Korpus
auf den Holzklotz aufzeichnet. Die Halbtotale zeigt den Oberkörpers
des Künstlers so, dass zu sehen ist, was er tut. In einer Ganz-Groß-Aufnahme
von der zeichnenden Hand stellen wir dies danach genau dar. Diese Sequenz
der vorbereitenden Arbeiten schließen wir wieder mit einer Halbtotalen
ab: wir zeigen, wie der Künstler den Holzklotz auf einem Gestell etwas
über seiner Augenhöhe aufspannt. Hier schon gewinnen wir erneut
eine wesentliche, auch für unsere Arbeit wichtige Erkenntnis: der
Künstler sieht auch sein Werk, während es entsteht, mit den Augen
des künftigen Betrachters. Er hat den noch unbearbeiteten Holzklotz
über der eigenen Augenhöhe montiert und wird die Form seines
Bildwerks unter dieser Perspektive ausarbeiten. Wie wir, kalkuliert auch
er hierbei den künftigen Betrachter seines Kunstwerks mit ein.
Die folgenden Einstellungen stellen den
handwerklichen Vorgang des Bildschnitzens dar. Wir wählen zu diesem
Zweck die Groß- bis Ganz-Groß-Einstellungen. Interessant für
den Handlungsfortgang ist in diesem Zusammenhang nur das Geschehen am Werkstück.
Diese Einstellungen können wir in harten Schnitten an die Totale setzen,
d.h. es genügt, wenn wir hier übergangslos die Großeinstellungen
an die Einstellung der Totale anhängen. Dies ist keine sehr glückliche
Lösung, der Betrachter wird etwas unsanft von einer Einstellung in
die andere befördert. Ein geschickt eingesetzter Zoom, der in sanfter
„Scheinfahrt„ zur nächsten, zur Groß-Einstellung führt,
könnte abhelfen.
Wenn hier der Eindruck entsteht, wir würden
unseren Film „in der Kamera schneiden„, d.h. die Reihenfolge und die Länge
der Einstellungen bereits bei der Aufnahme festlegen, so ist das nur zum
Teil richtig. Selbstverständlich können wir in dieser Art Sequenzen
herstellen, es wird uns jedoch nur selten gelingen, längere Teile
des Films auf diese Weise anzufertigen. Die endgültige Form des Films
bleibt der so überaus kreativen Arbeit beim Schnitt, bei der Montage
des Films vorbehalten.
Zurück zur Groß-Einstellung auf
unseren Künstler. Hier bieten sich nun eine ganze Reihe von dramaturgischen
Mitteln an, mit denen wir die Prägnanz unserer Einstellungen und deren
Aussage ganz wesentlich beeinflussen können. Zunächst werden wir
es vermeiden, dem Künstler allzu nahe zu kommen, die unmittelbare
Nähe der Kamera würde ihn beeinflussen und von seiner Arbeit
ablenken. Wir haben ja die Möglichkeit, aus größerer Entfernung
zu filmen und dennoch groß abzubilden. Die langen Brennweiten unseres
Kameraobjektivs gestatten diesen Abstand. Die Groß-Einstellungen,
die den Kopf des Künstlers, seine Hände und das Werkstück
selbst darstellen, lösen auch durch die geringe Tiefenschärfe
das filmwichtige Geschehen in der Szene vom Hintergrund ab, der in wattiger
Unschärfe verschwindet.
Wir wählen zunächst eine Kamerastellung
in Augenhöhe des Künstlers. Diese Perspektive – über diesen
Begriff hatten wir uns ausführlich ausgelassen – ist neutral. Sie
informiert nur über den Inhalt der Einstellung, Emotionen sind weder
erkennbar, noch sollen sie jetzt schon im Zuschauer geweckt werden.
Ein weiteres Stichwort, das für unser Filmschaffen bedeutungsvoll ist, ist gefallen: die Information.
3. Der Informationsgehalt der Einstellung
Obgleich wir das Thema unseres Films, dessen
Entstehen wir hier Stück für Stück betrachten und untersuchen,
nicht nur dokumentarisch verstehen wollen, haben doch zumindest eine Reihe
von Sequenzen dokumentarischen Charakter. Kaum ein Film kommt ohne die
dokumentierende Darstellung von Sachverhalten aus dem Filmgeschehen aus,
auch unser Film nicht.
Mit den Einstellungen, die wir jetzt vornehmen
wollen, zeigen wir genau, wie der Schnitzer sein Rohmaterial bearbeitet,
welche Werkzeuge er verwendet und wie er sie anwendet. Wir dokumentieren
also die Handlung und informieren den Zuschauer über das, was geschieht
und wie es geschieht. Um aber weitgehend vollständig zu informieren,
müssen die Bildinhalte deutlich erkennbar sein, man spricht in der
Sprache der Filmregie von einer starken Gesamtgestalt der Einstellung,
die sich zwangsläufig aus starken Teilgestalten zusammensetzen muss.
Das Bild insgesamt ist die Gesamtgestalt der Einstellung, die Teile, aus
denen sich das Bild zusammensetzt sind die Teilgestalten, hier der Kopf
und die Hände des Bildschnitzers sowie das Werkstück. Voraussetzung
für die Darstellung einer starken Gestalt – Teil- oder Gesamtgestalt
– ist vorrangig die Abbildungsschärfe dieser Gestalten, die Deutlichkeit,
mit der sie erkennbar sind. Hierzu kann auch die Beleuchtung beitragen,
die Kontraste erzeugt, aber auch die Farbe im Objekt. Denken Sie einmal
daran, wie dramatisch ein Objekt im Gegenlicht wirken kann, oder dass grelle Farben direkt eine Signalwirkung haben.
Zur Information über die Handlung in
der Einstellung müssen wir nun eine deutliche Abbildung der für
die Bildaussage wichtigen Teilgestalten erzielen, wobei wir die unwichtigen
Teilgestalten, deren Abbildung wir vielleicht gar nicht vermeiden können,
nach Möglichkeit auch undeutlich abbilden.
Im Bild haben wir den Kopf des Künstlers,
gegenüber das Werkstück und dazwischen die Hand, die das Schnitzmesser
führt und die andere Hand, die den Schlägel bedient.
In dieser ersten Einstellung zum Geschehen
am Werkstück werden wir versuchen, die Bildschärfe gleichmäßig
zu verteilen. Die Information dieser Einstellung lautet: „Ein Mann mit
einem Werkzeug in der Hand bearbeitet ein Holzstück„. Wir haben damit
weder ausgedrückt, dass es sich bei dem Mann um einen Künstler
handelt, noch dass er einen Korpus, also ein christliches Sinnbild
herstellen will.
Die Wiedergabe dieser Tätigkeit des
Künstlers darf nun in der Folge nicht „so dahinplätschern„, es muss
vielmehr ein „Spannungsbogen„ entstehen. Wir müssen jetzt
versuchen, den Künstler und sein Tun so darzustellen, dass einerseits
die Spannung unter der der Mann bei seiner Arbeit steht, andererseits der
bestimmt interessante Vorgang zu sehen ist, wie das Bildwerk entsteht.
Ziehen Sie jetzt in Gedanken eine Gerade,
die durch den Kopf des Künstlers und das Holzstück geht. Dies
ist eine Handlungsachse, auf der sich der Künstler bewegt. Schlagen
Sie jetzt auf der Seite, auf der Sie sich befinden einen Halbkreis, dann
haben Sie den Raum gekennzeichnet, innerhalb dem Sie sich mit Ihrer Kamera
bewegen dürfen, ohne einen schwerwiegenden Fehler zu begehen, nämlich
den gefürchteten – Achsensprung.
Solange Sie diesen Bogen nicht verlassen,
kann sich Ihr Zuschauer im abgebildeten Raum orientieren. Innerhalb dieses
Halbkreises können Sie eine Einstellung wählen, in der Sie den
Künstler schräg von hinten und das Werkstück von vorne darstellen,
oder gegenteilig, das Werkstück seitlich von hinten und den Kopf des
Künstlers von vorne wiedergeben, Ihr Zuschauer kann Ihnen folgen.
Erst wenn Sie die gedachte Achse überschreiten, tauschen sich die
Seiten aus. Was früher rechts im Bild war, ist jetzt links und umgekehrt.
Der Zuschauer wird irritiert, er vergeht unnötig viel Zeit, bis er
sich wieder in der Szene zurechtfindet.
Ein besonders drastisches Beispiel eines
Achsensprungs lässt sich an Hand eines Fußballspiels darstellen:
die Handlungsachse verbindet die beiden Tore. Stellen Sie sich bitte vor,
wie es wirken würde, wenn die Kamera einmal auf der einen Seite des
Fußballfeldes stünde, und dann auf der anderen. Für den
Betrachter des Films würden dann die Tore einmal links im Bild und
einmal rechts im Bild erscheinen. Die Richtung des Spielgeschehens würde
sich dauernd umkehren, die Übersicht ginge vollständig verloren.
Wer überlegt filmt, vermeidet solche
Fehler. Wenn Sie jedoch meinen, dass Sie aus irgendwelchen Gründen
die Handlungsachse überschreiten müssen, dann tun Sie dies mit
einer Kamerafahrt, indem Sie auf einem Halbkreis (oder mehr) um das Objekt
herumfahren. Der Zuschauer kann jetzt der Kamerabewegung folgen und folgt
Ihnen auch in die neue Situation.
An früherer Stelle deutete ich bereits
an, dass solche Kamerafahrten meist nur mit einem guten Stativ „auf
Rädern„ gelingen. Mit der Kamera auf der Schulter führt dies
nur dann zu befriedigenden Ergebnissen, wenn in der Szene selbst genügend
Bewegung ist. Die Kameraleute der aktuellen Fernsehberichte sind Meister
in dieser Art der Kameraführung.
Erinnern wir uns, dass wir mit unserem
Film dem Zuschauer ja nicht nur die platte Information liefern wollen,
wie aus einem Stück Holz eine Christusfigur gemacht wird, wir wollen
ja mehr!
1. Wir wollen zeigen, mit welchem persönlichem
Engagement der Künstler
sein Werk ausführt.
2. Wir wollen sehen, welche Technik der
Künstler mit seinen
Werkzeugen anwendet.
3. Wir wollen miterleben, wie ein Stück
rohes
Holz Gestalt und Ausdruck
gewinnt.
Hier gewinnen jetzt alle die Erkenntnisse
an Bedeutung, die wir uns unter dem Abschnitt „Gestaltungsmittel und ihre
Wirkungen„ erarbeitet haben. Erinnern Sie sich, welche Wirkung die verschiedenen
Abbildungsgrößen, die verschiedenen Blickwinkel – Perspektiven
– haben und dass die Schärfe einer Abbildung ebenso wie die Unschärfe
in einer Einstellung starke Ausdrucksmittel sind?
Wir bleiben in dem beschriebenen Halbkreis
und versuchen, Einstellungen vom Gesicht des Künstlers zu bekommen.
Wir wollen die Konzentration sehen, mit der er arbeitet. Die stets kritische
Beobachtung des entstehenden Kunstwerks muss zum Ausdruck kommen.
Wir wählen einen Kamerastandpunkt der
sich unserem Bildschnitzer schräg gegenüber befindet und schneiden
dabei das Werkstück an. Anschneiden heißt in der Filmsprache, dass wir gerade soviel von dem Objekt zeigen,
dass man sein Vorhandensein
erkennen kann, aber nicht mehr. Wäre das Stück Holz bereits eine
ausgearbeitete Figur, sollten wir über die (von hinten) linke Schulter
der Figur dem Künstler ins Gesicht schauen.
Immer noch kann die Kamera in der Augenhöhe
des Künstlers stehen. Mit der Schärfenverteilung im Bild betonen
wir das Bildwichtige und unterdrücken das Unwichtige. Wichtig ist
jetzt die scharfe Abbildung des Gesichts, weniger wichtig die Abbildung
der Hände und des Werkszeugs. Fast unwichtig ist das Werkstück,
das wir ja ohnehin nur von hinten sehen. Wenn wir einem Menschen ins „Gesicht
schauen„, sehen wir ihm in die Augen. Die Augen können „sprechen„
– eine alte Weisheit. Wenn ein Mensch lacht, lachen in erster Linie seine
Augen, wenn er weint, sind es selbstverständlich die Augen und Kontakte
zu Menschen knüpft man mit Augen – Blicken.
Und so, wie sich ein Mensch auf die Augen
seines Partners konzentriert, genau so stellen wir unsere Kamera ein. Wir
legen die absolute Schärfe auf die Augen. Das Gesicht im übrigen
liegt bei dieser Einstellung etwa in der gleichen – senkrechten – Ebene
wie die Augen, es wird also auch hinreichend scharf abgebildet. Sie wissen
ja, dass wir den Bereich der Schärfe, die Tiefenschärfe
also, durch die verwendete Lichtmenge stark beeinflussen können (Mehr
Licht = kleinere Blende = größerer Tiefenschärfenraum!).
Achten Sie auch auf die Spitzlichter im Auge. Die sphärische Form
des Augapfels findet meistens eine Lichtquelle, die sie punktförmig
widerspiegeln kann. Ohne einen solchen Lichtpunkt wäre der Augenausdruck
matt, leblos.
Unser nächstes Interesse gilt dem Werkstück,
dem Ort der Handlung im engeren Sinn. Suchen Sie also jetzt einen Kamerastandpunkt,
bei dem Sie dem Künstler über die (wieder von hinten gesehen)
rechte Schulter blicken können, aber legen Sie die Schärfe jetzt
auf das Werkstück, dessen Bearbeitung ja deutlich gemacht werden soll.
Hier können Sie auch die Art der Holzbearbeitung zeigen, können
darstellen, dass der Bildschnitzer seine Werkzeuge ständig wechselt,
um sie der Form der Figur anzupassen. Sie können zeigen, dass zu Beginn der Schnitzarbeiten gröbere Werkzeuge verwendet werden,
als später, wenn die Feinarbeiten an der Reihe sind.
Ein wesentliches menschliches Ausdrucksmittel
sind die Hände. Form und Bewegung der Hände, die Art, wie sie
Werkzeuge anfassen und führen, lassen – dem Laien unbewusst,
dem Fachmann analytisch – Einblicke in das Wesen des Künstlers zu.
Einstellungen auf die Hände sind meist ein interessantes Detail vom
Gesamtbild des Menschen, den wir hier in seinem Lebensbereich darstellen.
Inzwischen haben wir in der beschriebenen
Art mehrere Einstellungen abgedreht, bemerken aber, dass ein wesentlicher
Fortschritt am Werkstück nicht zu erkennen ist. Der Zuschauer ist
bereits seit einiger Zeit über die Vorgänge im Atelier und am
Werkstück hinreichend informiert. Setzen wir die Reihe der Einstellungen
in dieser Folge fort, läuft unser Film Gefahr, langatmig zu werden.
Unser Ziel ist jedoch, das Geschehen vor unserer Kamera kurzweilig und
in einer Zeit zu schildern, die für eine weitgehend vollständige
Information unseres Zuschauers ausreicht, ohne ihn zu langweilen. Die Dauer
unseres Films darf daher nur einen kleinen Bruchteil der wirklich abgelaufenen
Zeit ausmachen, muss aber den Eindruck erwecken, man habe die tatsächliche
Zeit vollständig miterlebt. Eine Aufgabenstellung, die der Quadratur
des Kreises nahe zukommend scheint. Wir werden jedoch sehen, dass dies
mit Hilfe der menschlichen Psyche, der Art, wie der Mensch mit Eindrücken
umgeht und sie zu einem Teppich, einem Gesamteindruck, verwebt, doch möglich
ist. Zunächst aber begegnet uns ein neuer Begriff, der filmgestalterisch
ganz besondere Bedeutung hat:
4. Die Zeit im Film.
Ein guter Film, sei es ein professionell
hergestellter oder ein liebevoll ausgearbeiteter Amateurfilm, wirkt wie
ein gutes Buch, eine spannende Erzählung. Hier wie dort wird dem Betrachter/Leser
eine Geschichte erzählt, ein Erlebnis vermittelt. Und sowohl in der
Literatur, als auch im Film ist die Zeit, in der wir das miterleben, was
uns das Buch oder der Film mitteilt, eine gänzlich andere, als die
Zeit, die das so vermittelte Ereignis selbst benötigt. Zeit im Film
ist etwas so Selbstverständliches, dass man sich über dieses
Phänomen kaum Gedanken macht. Ohne dass uns dabei etwas auffällt,
nehmen wir in einem Film von etwa zwanzig Minuten Länge am Leben eines
Menschen teil, das einige -zig Jahre dauerte, und nicht genug damit, wir
erleben diese Handlung in ihrer wirklichen Zeit, wir erleben sie mit.
Wir empfinden es auch nicht als „unnatürlich„,
wenn ein Film sich in ebenfalls etwa 20 Minuten über ein Ereignis auslässt, das in Wirklichkeit nur wenige Sekunden dauerte. Erinnerungen
tauchen oft nur „blitzartig„ auf. Als „Reminiszenzen„ filmisch dargestellt,
nehmen sie eine vielfach längere Zeit in Anspruch, ohne, und das ist
das „filmische Wunder„, den Eindruck der echten Zeit zu verwischen. Im
Film kann eine Handlung in kürzerer Zeit dargestellt werden, oder
in längerer, das spielt überhaupt keine Rolle! Wichtig ist nur, dass es dem Filmer gelingt, im Betrachter den Eindruck zu erwecken,
das gesehene Ereignis sei in der wirklichen Zeit abgelaufen. Ein hoher
Anspruch!
Inzwischen sind uns zwei Zeitbegriffe begegnet:
die wirkliche Zeit, die Realzeit, und die Zeit, in der der Film das Ereignis
schildert, die Filmzeit. Die Realzeit, also die Zeit, die ein Handlungsablauf
benötigt, begegnet uns in unseren Filmen immer nur in den Einstellungen.
Jede Einstellung wird in Realzeit gedreht. Jede Einstellung reproduziert
zwischen Start und Stop der Kamera das Geschehen vor der Kamera in genau
der Zeit, in der es sich abspielte. Die Einstellung bricht mit dem Kamerastop
ab, die Zeit jedoch, die Realzeit, läuft weiter. Jede Einstellung
ist also ein Stück Wirklichkeit. Im Film setzen wir Einstellung an
Einstellung. Zwischen jeder Einstellung entsteht eine Pause, in der die
Handlung weiterläuft. Die nächste Einstellung ist wiederum ein
Stück Wirklichkeit und erst das Zusammenfügen beider Einstellungen
zu einer Sequenz lässt eine Filmzeit entstehen, die in diesem
Fall kürzer ist, als die Realzeit. Sie ist kürzer und dennoch
erlebt der Zuschauer das Geschehen in einer Zeit, die sich nach seinem
Empfinden von der Realzeit nicht unterscheidet, obwohl sie mit ihr nicht
identisch ist.
Die ununterbrochene Folge von Einstellungen
wird vom Zuschauer im Zeitfluss der Vorführung so erlebt, als
stimme der tatsächliche Handlungsverlauf mit dem filmischen „synchron„
überein. Ja selbst Schnitte, also die Trennstellen oder Verbindungsstellen,
wie Sie wollen, zwischen den Einstellungen werden nicht mehr als Hinweis
auf verlorene und vergangene Zeit, als Zeitsprung empfunden, sondern bewirken
im Zuschauer das Empfinden der Handlungskontinuität, suggerieren eine
Realzeit. Filmzeit ist keine physikalische und messbare Größe.
Zeitmaß ist stets das subjektive Empfinden. Wer kennt nicht die Situationen,
in denen die Stunden wie „im Flug vergehen„ und Sekunden sich quälend
hinziehen. Ein Abend in fröhlicher Gesellschaft, bei dem die Zeit
wie im Flug vergeht und die „schier endlose„ Sitzung beim Zahnarzt mögen
als Beispiel für diese subjektiven Zeitempfindungen stehen. Wir sehen,
die naturgesetzliche Grundlage des Films ist nicht die Technik und die
Tätigkeit derer, die ihn produzieren, sondern die Psyche des Betrachters.
Das Medium Film ist daher auch keine Erfindung, sondern eine Entdeckung,
seine Entwicklung hatte nur die Aufgabe, eine technische Methode an die
psychische Veranlagung des Betrachters anzupassen. Die Kunst des Filmers
aber besteht zu einem wesentlichen Teil darin, zwischen den beiden Zeiten,
der Realzeit und der Filmzeit zu vermitteln, eine vordergründig dramaturgische
Aufgabe. Die Filmzeit suggeriert das Zeiterleben des Zuschauers. Unschwer lässt
sich hieraus erkennen, welche dramaturgischen Zwänge,
aber auch welche dramaturgischen Möglichkeiten sich aus der Verpflichtung
ergeben, die Aufgabe zu lösen, eine Filmhandlung vor dem Hintergrund
der Filmzeit in nachvollziehbarer Realzeit aufzubauen.
Dies alles, das gebe ich gerne zu, klingt
so schrecklich kompliziert. Schwierig ist jedoch nur, diese Dinge in Worte
zu fassen und der Versuch, sie verständlich zu machen. Tatsächlich
ist der Filmautor, der Kameramann und wer auch immer an der Herstellung
eines Films beteiligt ist, selbst Mensch mit den gleichen Empfindungen.
Der Filmer ist daher nicht gezwungen, einen Film quasi in Maßarbeit
auf die – ihm fremde – Psyche des Betrachters zuzuschneiden, sondern er
empfindet ja selbst so, wie er den Zuschauer empfinden lassen will. Das
erleichtert die Sache, ja es gibt filmische Aufgaben, die nur unter dieser
Voraussetzung lösbar sind.
Das was ich in ein wenig analytischer Manier
darzustellen versucht habe, ist Bestandteil und Funktion der eigenen Gefühlswelt.
Auch ohne das Wissen um diese Dinge kann der Filmer hervorragende Filme
machen, nie jedoch ohne das eigene Gefühl, das Empfinden für
die Zeit im Film.
Genug nun der theoretischen Darstellung,
versuchen wir, die Wirkung von Filmzeit als suggerierter Realzeit an Hand
unseres Filmbeispiels vom „Herrgottschnitzer„ darzustellen. Die Filmzeit,
lassen Sie mich das ins Gedächtnis zurückrufen, entsteht durch
das Zusammenfügen von Einstellungen in Realzeit zu Sequenzen. Setzen
wir an die erste Einstellung eine zweite, die das Objekt vielleicht aus
anderer Sicht, aber bei der gleichen Handlung zeigt, nimmt der Betrachter
den Zeitverlust zwischen den Einstellungen nicht mehr wahr, vorausgesetzt,
der Kameramann hat mit den beiden Einstellungen die Kontinuität der
Sequenz gewahrt.
Ein Beispiel:
1.Einstellung:Der Bildschnitzer von rechts
hinten, das entstehende Bildwerk ist scharf abgebildet. Es ist deutlich
erkennbar, wie weit das Bildwerk gediehen ist. Länge der Einstellung
6-8 Sekunden.
2.Einstellung (etwa 10 Minuten später): der Bildschnitzer schräg von vorn, das Werkstück ist angeschnitten,
das Gesicht des Künstlers ist prägnant dargestellt, das Werkstück
unscharf im Vordergrund. Die Hände des Künstlers sind nicht zu
sehen! Dauer der Einstellung 4-5 Sekunden.
3.Einstellung (weitere 10 Minuten später): Der Bildschnitzer wieder von rechts hinten, das entstehende Bildwerk ist wieder
scharf abgebildet. Es ist sichtbar, dass die Arbeit am Bildwerk fortgeschritten
ist. Hände und Werkzeug sind im Bild. Länge der Einstellung 6-8
Sekunden.
Der Betrachter der Sequenz nimmt die Zeitunterbrechung
nicht wahr und empfindet die drei Einstellungen als eine zeitlich ununterbrochene,
glaubhafte Wiedergabe der Handlung. Es ist eine Eigenart des menschlichen
Empfindens, dass es das, was ihm im Film gezeigt wird, als Gegenwart
sieht. Das Filmgeschehen ist ihm stets „gegenwärtig„. Filmisches Geschehen
auf dem Bildschirm ist für den Zuschauer selbst dann Gegenwart, wenn
die Filmhandlung im Altertum oder in einer völlig fremden Welt spielt.
„Man fühlt sich um 3000 Jahre zurück- oder in eine neue Welt
versetzt„ – ein bekannter Ausspruch! Dieses „Hineinfühlen„ in eine
bestimmte Zeit, dem sich der Betrachter gar nicht entziehen kann, ist der
Schlüssel für das Zeitempfinden im Film. Die dargestellte Zeit
wird so erlebt, als sei sie die reale.
Das was ich in ein wenig analytischer Manier
darzustellen versucht habe, ist Bestandteil und Funktion der eigenen Gefühlswelt.
Auch ohne das Wissen um diese Dinge kann der Filmer hervorragende Filme
machen, nie jedoch ohne das eigene Gefühl, das Empfinden für
die Zeit im Film.
Genug nun der theoretischen Darstellung,
versuchen wir, die Wirkung von Filmzeit als suggerierter Realzeit an Hand
unseres Filmbeispiels vom „Herrgottschnitzer„ darzustellen. Die Filmzeit,
lassen Sie mich das ins Gedächtnis zurückrufen, entsteht durch
das Zusammenfügen von Einstellungen in Realzeit zu Sequenzen. Setzen
wir an die erste Einstellung eine zweite, die das Objekt vielleicht aus
anderer Sicht, aber bei der gleichen Handlung zeigt, nimmt der Betrachter
den Zeitverlust zwischen den Einstellungen nicht mehr wahr, vorausgesetzt,
der Kameramann hat mit den beiden Einstellungen die Kontinuität der
Sequenz gewahrt.
Ein Beispiel:
1.Einstellung:Der Bildschnitzer von rechts
hinten, das entstehende Bildwerk ist scharf abgebildet. Es ist deutlich
erkennbar, wie weit das Bildwerk gediehen ist. Länge der Einstellung
6-8 Sekunden.
2.Einstellung (etwa 10 Minuten später): der Bildschnitzer schräg von vorn, das Werkstück ist angeschnitten,
das Gesicht des Künstlers ist prägnant dargestellt, das Werkstück
unscharf im Vordergrund. Die Hände des Künstlers sind nicht zu
sehen! Dauer der Einstellung 4-5 Sekunden.
3.Einstellung (weitere 10 Minuten später): Der Bildschnitzer wieder von rechts hinten, das entstehende Bildwerk ist wieder
scharf abgebildet. Es ist sichtbar, dass die Arbeit am Bildwerk fortgeschritten
ist. Hände und Werkzeug sind im Bild. Länge der Einstellung 6-8
Sekunden.
Der Betrachter der Sequenz nimmt die Zeitunterbrechung
nicht wahr und empfindet die drei Einstellungen als eine zeitlich ununterbrochene,
glaubhafte Wiedergabe der Handlung. Es ist eine Eigenart des menschlichen
Empfindens, dass es das, was ihm im Film gezeigt wird, als Gegenwart
sieht. Das Filmgeschehen ist ihm stets „gegenwärtig„. Filmisches Geschehen
auf dem Bildschirm ist für den Zuschauer selbst dann Gegenwart, wenn
die Filmhandlung im Altertum oder in einer völlig fremden Welt spielt.
„Man fühlt sich um 3000 Jahre zurück- oder in eine neue Welt
versetzt„ – ein bekannter Ausspruch! Dieses „Hineinfühlen„ in eine
bestimmte Zeit, dem sich der Betrachter gar nicht entziehen kann, ist der
Schlüssel für das Zeitempfinden im Film. Die dargestellte Zeit
wird so erlebt, als sei sie die reale.